Sperrstelle Widdersgrind BE
Bekannte Objekte
- A208X? (Reg. 9107) Kaverne Widdersgrind – 598030/169630
- A2083 (Reg. 9110) Artilleriewerk Widdersgrind (1x 7,5 cm Feldkanone, 1x Infanteriekanone, 1x Mg) – 597300/169650
- MSB058 Militärseilbahn Widdersgrind
«Weiche» statt harte Bunker
Im September 1946 wollte die Schweizer Armee es wissen: Die Gruppe für Festungswesen hatte ein Programm zusammengestellt, um die Widerstandsfähigkeit von Befestigungsanlagen der Stockhornkette zu testen. Festgelegt sind in der Einladung an die geladenen Offiziere die Testtage 4. Oktober 1946 (mit Ersatz 5. Oktober 1946 bei Schlechtwetter).
Um 8.45 Uhr war Versuch 1 vorgesehen: Zwei Morane 3801-Jäger sollen das Artilleriewerk Widdersgrind mit Bordwaffen angreifen. Pro Maschinenkanoe waren 50 Schuss Panzergranaten vorgesehen. Der Angriff erfolgt im Stechflug mit einem Winkel von 30 Grad. Durch diese zweimaligen Angriffe soll abgeklärt werden,
- ob die Sichtbarkeit der getarnten Werke genügt, um die Schiessscharten mit Flugzeugraketen angreifen zu können. Da keine Flugzeugraketen zur Verfügung stehen, wird die Übung mit Flugzeugkanonen durchgeführt.
- Treffsicherheit: Wieviele Prozent der Treffern landen in der Scharte
- Fliegerische Schwierigkeiten bei der Durchführung des Schartenbeschusses
- Wirkung der Panzergranaten auf die Scharten.
Ab 9 Uhr ist Versuch 2 an der Reihe. Vorgesehen ist der direkte Beschuss des Artilleriewerkes Widdersgrind. Ziel war die Scharte Nord (1,8 x 3 m). Geschossen wird von der Grenchenalp, die Distanz beträgt 516 Meter. Zum Einsatz kommt eine 7,5 cm Pak 44 mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 860 m/s und Panzergranaten (Munition der 7,5 cm Flabkanone).
Anschliessend wird mit Versuch 3 auf das Werk Süd (2,3 x 9,6 m) gezielt. Die Geschützstellung befindet sich auf den Koordinaten 591650/175850, die Distanz zum Ziel beträgt 6800 m und die Höhe +824 m. Zum Einsatz kommen 10,5 cm Kanone mit Ladung 4 und 15 cm Haubitze mit Ladung 4. Für beide Geschütze ist aufgeführt, dass 80 Schuss gerechnet werden, um mit Sicherheit einen Volltreffer zu erhalten. Als Zünder werden aus Sicherheitsgründen Momentanverzögerungszünder MVZ45 eingesetzt.
Um 12:30 Uhr ist Mittagspause angesagt. Der Imbiss findet in der Unteren Gantrischhütte statt und wird durch die Festungswachtkompanie 16 organisiert (Preis des Essens Fr. 2.80). Anschliessend wird mit PW nach dem Morgetengrat verschoben.
Versuch 4 beginnt um 14:45 Uhr. Zwei Mehrzweckflugzeuge C3603 greifen mit ihren Bordwaffen das Infanteriewerk Morgetenpass an. Pro Kanone werden in zwei Anflügen jeweils 50 Panzergranaten im Horizontalflug mit rund 10 Grad abgefeuert. Die Aufgabenstellung entspricht Versuch 1.
Dann ging es richtig zur Sache: Versuch 5 umfasste einen Angriff von vier C3603-Maschinen mit Bomben auf das Artilleriewerk Bürglen. Die ersten zwei trugen je eine Sprengbombe 200 kg mit Verzögerungszünder, die Flugzeuge 3 und 4 je zwei solcher Bomben. Der Abwurf erfolgt im steilen Stechflug von 50 Grad in einer Höhe von 500 Metern über Grund durch alle Maschinen hintereinander. Festgestellt werden soll die Wirkung der 200 kg-Bomben auf das Artilleriewerk und die Trefferwahrscheinlichkeit respektive das Trefferbild.
Ebenfalls explosiv ist der Versuch 6. Eine 250 kg-Bombe wird beim Eingang zum Fort Bürglen zur Detonation gebracht. Interessieren tun die Fachleute die Explosionswirkung im Innern der Galerien und Räume, auf die Maschinen und Einrichtungen sowie die feststellbare CO-Konzentration.
Anschliessend haben alle Teilnehme die Möglichkeit, in das Fort Bürglen zu gehen und die Wirkung der Geschosse selber festzustellen. Dann wird wieder zurück nach Thun-Bern verschoben.
Was bei diesen Versuchen rausgekommen ist, ging als «Skandal um weiche Bunker» in die Schweizer Militär- und Militärjustizgeschichte ein. Die Bunker waren keineswegs so stabil, wie vermutet, erhofft und in Auftrag gegeben.
Der Gerichtsfall
Eine Überprüfung nach den Versuchen im Oktober 1946 ergab schliesslich, dass auf einer Breite von 20 Kilometern am Gantrisch und Stockhorn acht Bunker sich als schlicht unbrauchbar oder ungenügend, acht weitere als gerade noch als brauchbar erwiesen. Bald war von «weichen Bunkern» die Rede, die im Auftrag des Geniebüros von zivilen Unternehmen erstellt worden waren. 26 Angeschuldigte standen schliesslich vor Gericht, 11 Militärs und 15 Zivilpersonen. Die Anklage lautete zusammengefasst, dass bei der Erstellung einzelner Werke und Kampfstände schlechte Arbeit geleistet und insbesondere schlecht betoniert wurde. Es wurde zu wenig Zement, zu wenig Sand, ungeeignetes Ausbruchmaterial verwendet. Die Rechnungen aber bezogen sich auf vollwertiges Material und vollwertige Arbeit.
Die Anklage wurde sogar auf Landesverrat ausgeweitet, da durch die «weichen Bunker» eine Lücke in der Reduit-Front klaffte. Die Anlagen standen übrigens auf der dem potenziellen Feind zugewandten Hangseite und somit war von Beginn weg ihr Nutzen fraglich. Der Fall kam im Herbst 1950 vor das Divisionsgericht 3B. Das Urteil: Die drei verurteilten Militärs erhielten nur bedingte Gefängnisstrafen und Bussen von maximal 1’000 Franken, währenddessen zwei der sechs angeklagten Bauunternehmer für 24 resp. 15 Monate ins Gefängnis mussten (Bussen von 10’000 resp. 2’600 Franken). Eine ganze Anzahl Beschuldigter wurde freigesprochen. Aufgezeigt wurde, dass sowohl schlechtes Baumaterial als auch teilweise zu wenig Zement verwendet wurde, der Bau im Winter ungünstig angesetzt und die Bauaufsicht vernachlässigt worden war. Die Öffentlichkeit wurde möglichst nicht informiert, in der Presse wurde von Vertuschungsversuchen geschrieben, weil hohe Militärs involviert seien.
Auch der Oberrichter wurde kritisiert, da er mehr darauf bedacht sei, die Angeklagten zu schützen als die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen und die Schuldigen zu bestrafen. Diese Tatsache zeigt, wie kritisch die oft abgeschottete Welt der Militärs in der Öffentlichkeit damals zur Kenntnis genommen wurde.
Quellen: Bundesarchiv, Privatarchiv