Die hohe Kunst der Tarnung

Heute wissen wir Bescheid über die kreativen, teils auch künstlerisch vollführten und handwerklich immer bestens ausgeführten Tarnvorrichtungen, die Geschütze, Tore, Fahrzeuge, ja ganze Anlagen «unsichtbar» machen wollten. Umso spannender ist es zu erfahren, wie – typisch Schweizer Armee – akribisch die Tarnungsstrategie geplant, verordnet und ausgeführt wurde. Und nicht nur in einem Fall ganz hervorragend funktioniert  hat.

Der Bau der Grenzbefestigungen, später der Armeestellung und schliesslich die Einigelung im Reduit war von Anfang an begleitet von grossen Anstrengungen zum Zweck der Tarnung. Bereits vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs und der Generalmobilmachung gab es im Schweizer Generalstab Fachleute, die von Flugzeugen aus Truppenkonzentrationen, strategisch wichtige Gebäude und Waffenstellungen auf die Sichtbarkeit von oben analysierten und entsprechende Anordnungen zur Tarnung erliessen. Mit dem Kriegsausbruch 1939 wurde die Camouflage auf breiter Ebene lanciert, wie Recherchen im Bundesarchiv zeigen.


Oktober 1939 / Bundesarchiv

Wer bisher dachte, dass Tarnungen von Geschützen in Form von «Alphüttchen» mit dem Bau von 10,5 cm Turmgeschützen der Festungsartillerie aufkamen, muss sich eines Besseren belehren lassen: Dieses Tarnprinzip wurde schon sehr früh bei grenznahen Flab-Stellungen angewendet. Vor allem bei Stellungen, die zwar fest installiert, personell aber nicht permanent besetzt waren, empfahl sich das K+W-Modell «Schafstall».

Oktober 1939 / Bundesarchiv

So kreativ die Planung und handwerkliche Umsetzung in den Truppengattungen umgesetzt wurden, so monströs entwickelte sich die Militärbürokratie auch im Bereich der Tarnung. Ausufernd und irritierend theoretisch sind die Anordnungen und Weisungen der «Tarnexperten» des damaligen EMD. Aus heutiger Distanz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass halt ein «EMD-Beauftragter für Fragen der Tarnung» sein Schaffen zu rechtfertigen hatte.


Juli 1940 / Bundesarchiv

Selbstverständlich war der Sinn einer perfekten Tarnung bei den ausführenden Truppen und Dienststellen des Bundes und der Kantone unbestritten.

Das wohl spektakulärste Beispiel von gelungener Planung und perfekter künstlerischer Umsetzung zeigt sich bei den Tarnarbeiten für die unterirdischen Magazine im Rynächt bei Altdorf im Kanton Uri. Die direkt in die Felswand bei Schattdorf getriebenen, streng geheimen Lager- und Werkstatt-Stollen (die ersten Anlageteile stammten bereits aus dem ersten Weltkrieg) lagen direkt an der Kantonsstrasse von Altdorf nach Erstfeld. Mit der anspruchsvollen Tarnbemalung der Stollenportale und Rampen wurde der damals bereits recht bekannte 31-jährige Luzerner Kunstmaler Hans Erni beauftragt. Erni leistete seinen Aktivdienst in einem HD-Tarndetachement. Nachdem er die Felswand aus einer gewissen Distanz westlich der Kantonsstrasse studiert und in unterschiedlichem Licht begutachtet  hatte, skizzierte er auf braunem Planpapier ein Bemalungsmuster und belegte seinen Vorschlag geschickt mit einer Variante «felsgrau uni» (linkes Tor) und einer Variante «naturfelsig muni» (rechtes Tor).

Links/rechts: Tarnungs-Vorschlag MM5 Rynächt mit Rampe, Hans Erni 1940 / Bundesarchiv

Im Bundesarchiv finden sich keine Dokumente, die den konkreten Entscheidungsprozess der militärischen Auftraggeber belegen. Demnach ist davon auszugehen, dass die Vorschläge des HD-Soldaten Erni überzeugt haben. Denn im selben Dokument finden sich Fotografien, welche die spätere malerische Umsetzung des Tarnanstrichs zeigen.


Nahaufnahme/Fotografie nach Tarnbemalung gem. Hans Erni, 1940 / Bundesarchiv

Fotovergleich Mun Mag ohne/mit Tarnbemalung gem. HD Sdt Erni Hans, 1940 / Bundesarchiv

Script  HD Soldat Erni 1940 / Bundesarchiv

Hans Erni, der ab den 1960er und 70er Jahren als Künstler nationale und internationale Bekanntheit erlangt hat, war offenbar selber sehr angetan von seiner archaischen Arbeit am Naturfelsen. Er malte jedenfalls noch während des Aktivdienstes ein vom natürlichen Felsmuster inspiriertes Fresko namens «Muni mag fünf». Erni selber sagte einst dazu: «Im Uristier verkörpert sich Wehrwille des Mun Mag 5 gegen eine bedrohliche Übermacht». Dieses Bild ist seit 2007 in der Cafeteria des Altersheims Rüttigarten in Schattdorf zu bewundern, nachdem es zuvor jahrelang in (geheimen) Armeeräumen in Amsteg und Schattdorf hing.


Hans Erni «Muni mag fünf», Schattdorf (Rynächt) 1944 / Quelle: Staaatsarchiv Uri