RS als Festungsminenwerfer-Kanonier
1990 hatte ich das Vergnügen, das Hotel «Castels» kennenzulernen – und zwar als Rekrut im Zug Casty (Festungsminenwerfer-Kanonier). Verfasst im Jahr 2010.
Mulmig ist es schon, das Gefühl im Bauch, als ich mit Dutzenden anderen Gleichaltrigen kurz vor 14 Uhr in Mels aus dem Zug steige. Rasch werden wir wie eine Herde von den Unteroffizieren (damals wusste ich kaum, was das ist) in Richtung Zeughaus getrieben. Dort entscheidet sich das Schicksal: Dass ich zur Festungsartillerie komme, weiss ich bereits. Doch da gibt es meilenweite Unterschiede. Die Kanoniere für die 15 cm Bunkerkanonen verschwinden in Richtung Furkels, die 10,5 cm Panzerturm- und 12 cm Festungsminenwerfer-Besatzungen erhalten das «Hotel Castels». Soweit so gut. Kurz vor der RS hat das VBS entschieden, dass Rekruten den ersten Abend jeweils noch in Zivil in den Ausgang können. Darauf freuen wir uns, und werden bereits am ersten Tag enttäuscht – respektive erfahren, wieviel man dem Militärsystem als Rekrut oder ADA glauben darf.
Als erstes machen wir uns auf den (Fuss-)weg nach Castels. Mein Leutnant, ein junger Thuner, macht zumindest einen relativ normalen Eindruck. Wir marschieren also kindergartenmässig in Zweierkolonne mit dem Privatgepäck in die Hügel. Jetzt zahlt es sich aus, wer statt einem Hartschalenkoffer eine Tragtasche oder einen Rucksack dabei hat. Die schmale gewundene Strasse wird immer steiler, der Leutnant treibt uns schon mal an, da er heute noch einiges mit uns vor hat. Und die zwei Korporäle proben ihre Stimmkraft, wenn einer aus der Reihe tanzt. Was durchaus vorkommt, denn neben der Unsicherheit der meisten ist bei einigen eine ziemliche Grossspurigkeit zu bemerken. Und die gilt es zu dämpfen. Dann stehen wir keuchend vor dem unteren Eingang zum Artilleriewerk und Brigade-Kommandoposten Castels (heute als Fünf-Stern-Hotel Castels angeschrieben).
Ohne Halt geht es durch das lastwagengrosse Stahltor in einen hell erleuchteten Stollen. Überall glänzen die Wände und zeigen uns, was wir im Berg erwarten können, nämlich Feuchtigkeit und Nässe. Dann teilt sich der Stollen in zwei Gänge, drei Züge gehen ab nach rechts, drei nach links. Vorbei an den Küchen- und Essräumen geht es durch einen kleineren Stollen – der Boden betoniert, die Wände roher Fels, überall Leitungsrohre – zu den Unterkünften. Der Anblick lässt im Kopf Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg hochkommen. Bis 30 Mann kommen in einen Raum, Doppelstockbetten mit Planken, überall die kratzigen Armee-Wolldecken mit den Schweizer Kreuzen. Schrecklich. Und hier sollen wir für die RS einquartiert sein!
Alle Achtung…
Kaum sind die Betten verteilt, wird das erste Mal richtig rumgeschrien, denn wir müssen wieder raus, den ganzen Weg zurück Richtung Tiergarten ins Zeughaus. Material fassen. Das erste Mal wird die Befürchtung laut, dass es nichts mit Ausgang wird. Die Korporäle erklären, wenn wir uns beeilen würden, könnten wir dann schon noch gehen. Offensichtlich werden so die Vorgesetzten ausgebildet, denn mit dieser Aufforderung versuchen sie uns während der ganzen RS anzutreiben. Also gehts wieder 20 Minuten runter, im Zeughaus gibt es jede Menge komische und kratzige Uniformteile, Rucksack und vieles, das wir dann zwar immer rumschleppen, meist aber keinen Sinn machen wird. Nach dem zweiten Marsch hinauf in die Festung heisst es Essen fassen, irgendwas Ravioli-mässiges, das seit längerem im Kochtopf gewartet hat – und trotzdem hungrig verdrückt wird. Und statt Ausgang wird Material eingeräumt: Für alles Private steht ein kleiner Metallschrank im feuchten Gang draussen zur Verfügung – wo das persönliche (Militär-)Material hingehört, wird natürlich vom Feldweibel befohlen und kontrolliert. Gemäss sauber gezeichnetem Plan und Liste.
Und um 22 Uhr ist Lichterlöschen, und bis dann muss auch eingeräumt sein, was der Feldweibel mit seiner lauten Stimme und seinem buschigen schwarzen Schnauz kontrolliert. Geschlafen hat wohl kaum einer der 30 Mann in meinem Schlag. Und trotzdem schrecken alle auf, als am Morgen der UO das Licht macht, einige Sekunden wartet und dann voller Freude und mit glänzenden Augen «Tagwacht» brüllt. Jeder könnte ihn umbringen! Dann lernen wir auch, dass Duschen ein Luxus sein wird. Morgens jedenfalls ist keine Zeit dafür. Kaum ist der Essraum im Gewirr der alle gleich aussehenden Gänge wieder gefunden, ein Bissen Brot und Käse verdrückt, etwas Kaffee- resp. Schokodrink-ähnliches runtergegossen, steht schon wieder der UO vor mir und treibt uns an.
Natürlich haben wir keine Zivilkleider mehr, wir haben uns schon in die kratzigen Uniformen des Tenu B stürzen müssen. Und das ist dann schon erheiternd, denn kaum einer sieht aus wie der andere. Also geht es zum ersten Morgenverlesen mit dem ersten Zusammenschiss (ZS) des Feldis und anschliessender wiederholender Modeschau. Und als dann alle in etwa gleich aussehen, geht es erneut hinunter ins Zeughaus. Wozu? Logisch, Material fassen. In den Wartepausen wird Grüssen gelernt, «Auf ein Glied Sammlung» tönt es aus allen Ecken, wo Rukis warten. So vergeht der erste Tag, am Abend machen wir einen Spaziergang durch die Festung, wir dürfen natürlich nicht in alle Bereiche, der Brigadetrakt und die anderen Stockwerke sind «geheim». Dafür zeigt uns der Feldweibel schon mal den Raum, wo früher die Kremationsöfen gestanden haben sollen. Das gibt mir nicht nur an diesem Tag zu denken…
Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie manchen Tag wir mit Grüssen und Sammeln verbracht haben, jedenfalls zu viel. Und dann standen plötzlich am Morgen 10,5 cm Haubitzen auf dem Appellplatz. Alle hoffen natürlich, dass das nur ein Witz ist, schliesslich ist man ja Festungsartillerist. Aber Pech gehabt, jeder Zug fasst so ein mordsmässig schweres Ding. Mit viel Gebrüll und noch viel mehr Schweiss muss das Geschütz auf den Arbeitsplatz Täli/Bödeli gebracht werden. Dies passiert fast mehr mit Handarbeit als mit Motorzug. Und für sechs Wochen müssen wir uns nun mit dem mobilen Monster abquälen.
Ausser Rauch…
Innert kurzer Zeit sind die beiden Gruppen meines Zuges jedoch in Wettkämpfe verstrickt, welche denn das alte Eisending schneller in Stellung bringen kann. Der Leutnant wusste zugegebenermassen sehr gut, wie er das Wettkampffieber steigern konnte. Das Einrichten des Geschützes ist jedes Mal Feinarbeit, die kaum einer des Zuges wirklich begreift. Meist heisst es plötzlich einfach «Richtung stimmt» – und wir sind froh darüber.
Abends sind wir meist richtig geschafft, denn die Haubitze bringt doch immerhin 1840 kg auf die Waage. Nach zwei Wochen sind aber auch die Trockenübungen langweilig, immer nur mit Holzgranaten spielen ist wirklich Sandkasten-Spiel. Immer wieder werden wir vor der heissen Hülse gewarnt, die aufgefangen werden muss – und vom Rücklauf des Geschützrohres. Doch war das wirklich so?
Nachdem wir alle mal die Finger knapp aus dem Verschluss gerettet haben, wird ein Batterie-Schiessen als Höhepunkt angedroht. Da wir nur halbmobil sind, müssen die Lastwagen einige Male fahren, bis alle sechs Knallkörper in Stellung sind. Vor dem mit Spannung erwarteten ersten scharfen Schuss kontrollieren die Geschützführer (Korporale) die eingestellten Schiessdaten mehr als dreimal…
Wo schiess ich denn am Besten hin…?
Als Richter habe ich die Aufgabe, die durchgegebenen Schiesselemente korrekt einzustellen. Irgendwie ist man sich aber der Bedeutung dieser Arbeit nicht bewusst. Ich habe ja keine Ahnung, wie wirklich die Wirkung einer Granate ist. Ich kann mich aber an einige Details dieses ersten und letzten Haubitzen-Schiessens in der RS erinnern: Nach dem ersten «Feuer» ist der Verschlusswart jedenfalls nicht mehr auf seinem harten Sitzchen auf der Spreize. Die unerwartete Wucht des Rohres hat ihn nach hinten zwischen die Spreizen geschleudert. Spannend war auch, wie der Korporal ohne Nackenhaare aussieht, als ihm die Kapuze des «Kämpfers» – des alten Modells mit den vielen praktischen Taschen – verrutscht ist. Jeder muss zwei Schuss in jeder Funktion abgeben. Zuletzt dürfen wir beim Eindunkeln die restliche Munition im Seriefeuer vernichten – sonst hätte es ja für die nächste RS weniger Dotation gegeben – genau so wie mit den vernichteten Handgranaten in der folgenden Verlegung. Jedenfalls ist der Höhepunkt als mobiler Artillerist dann das Abgeben der Stahlmonster im Zeughaus – solange habe ich wohl noch nie geputzt.
Und in der Folgewoche sehen wir endlich mal einen Festungsminenwerfer. Es hat ja auch lange genug gedauert, bis die Ausbildung an dieser relativ modernen Waffe beginnt (Fargof ist damals noch nicht vorhanden). Faszinierend ist schon, mit wie wenig Mannschaft und Raum eine so grosse Waffenwirkung erzielt werden kann. Irgendwie haben wir endlich das Gefühl, das zu lernen, wozu wir in den komischen Gewändern herumirren und uns von den Vorgesetzten rumkommandieren lassen. Innert kurzer Zeit haben wir die Funktionen im Monobloc recht gut im Griff – es ist schon was anderes als mit den Haubitzen und macht richtig Spass.
Neidisch sind wir schon ein bisschen auf die Festungs-Übermittler, die unten in der Kaserne Tiergarten ein lockeres Leben haben – die sind irgendwie in der Zivilisation geblieben, während wir langsam zu Höhlenmenschen mutieren. Andererseits hat das Festungsleben auch durchaus seine Vorteile: Bis einer der Vorgesetzten in das Loch reinkommt, ist meist die ganze Bande alarmiert. Und als Wache hat man auch so seine Möglichkeiten, Frust abzulassen. Als ich einmal meine Stunden dort vor dem Loch verbringe, will der Schularzt zu unserem Kompaniekommandanten. Doch blöderweise hat er seinen Ausweis nicht dabei. Da ist eben Schluss mit lustig. Obwohl ich ihn von Sehen kenne, kommt er nicht an mir vorbei. Als dann der Korporal als Wachkommandant ihn vor Ort identifiziert und auch schon der Kadi heranstürmt, muss ich ihn doch noch reinlassen. Während mich der Korporal zusammenstaucht, lobt mich der Kadi! SO ist das Leben!
Ein andermal habe ich mir einen besonderen Spass als Wache erlaubt: Wir sind im Raum Disentis, haben einsatzmässig einen 12 cm-Festungsminenwerfer übernommen und in Betrieb gesetzt. Alle sind gereizt, da wir keine Übermittlungssoldaten haben, doch die Funkanlage betreiben und die Antenne stellen müssen und dann verfahren sich die Fuzzys aus der Küche auch noch und wir kriegen kalte Teigwaren und noch kälteres Fleisch. Zudem sind wir eh zu wenig Leute, um ausser dem Betrieb des Bunkers auch noch die Aussenverteidigung zu übernehmen. Also steht die Eingangswache allein draussen, der Zugang zur «Scheune» ist mit supponiertem Stacheldraht in Form von weissen Papierbändern markiert. Der Nebel wabbert durch die Gegend, die Sicht beträgt etwa 5 Meter. Da das ganze als Einsatzübung gilt, sollte ich auch noch die Schutzmaske tragen, was die Wache eigentlich völlig überflüssig macht – sehen kann ich eh nichts.
Da höre ich von unserem vorgeschobenen Späher an der Strassenmündung, dass der Adjudant unterwegs sei. Als Mw-Spezialist hat er uns oft richtig geschlaucht und nun: DIE Chance! Während ich den Alarm via Telefon in die Feuerleitstelle gebe und der Zugführer raufkommt, taucht eine unbekannte Person im Nebel auf. Als er wie selbstverständlich durch die supponierten Stacheldrahtrollen auf mich zukommt, heisst es plötzlich «Halt!» Keine Reaktion. «Halt oder ich schiesse!» Da bliebt der Adjudant stehen und motzt mich an. Da ziehe ich das Programm voll durch. Ich befehle ihm, seinen Ausweis im vorbereiteten Kasten zu deponieren und fünf Schritte zurück zu gehen. Er muss sich flach auf den durchweichten Boden legen und alle viere von sich strecken. Als ich den Ausweis kontrolliere, taucht auch der Leutnant auf und muss sich sichtlich zusammennehmen, als er den Adj sieht. ich entschuldige mich natürlich beim Adj, in dem Nebel hätte ich ihn echt nicht erkannt. Er fluchte noch eine Stunde lang, denn sein Kämpfer war vorne nass, er sah aus, wie wenn er in die Hosen gemacht hätte – doch mir geht es an dem Tag zumindest moralisch sehr gut.
Das ist doch mal eine Geschützbesatzung!
Nachdem wir in zwei verschiedenen Werfern im Raum Sargans ausgebildet worden sind, wartet die Verlegung auf uns. Einen grösseren Humbug habe ich bei den stationären Festungstruppen kaum je mitgemacht. Offensichtlich wussten die einfach nicht, was mit uns eine ganze Rekrutenschule lang zu machen, da wir die Inspektionen und Übungsschiessen erfolgreich absolviert haben. Kriegsmässig warten wir irgendwo in Sargans in Hinterhöfen, um dann beim Eindunkeln alle gemeinsam einen Eisenbahnzug zu stürmen. In der Holzklasse sollen wir quer durch die Schweiz von Sargans nach Martigny im Wallis gefahren werden. Ich verkrieche mich rasch unter zwei Sitzbänke und habe so zumindest ein bisschen Ruhe. Ein ganze Nacht dauert der Umzug, bis wir in Martigny ankommen. Geschlafen hat kaum einer von uns. Nun gilt es, dort alles Material auszuladen und nach Vernayaz zu bringen. Und dann wieder die glorreiche Schweizer Armee: Obwohl in der Kompanie ein SBB-Angestellter ist, der die Militärlogistiker gewarnt hat, klappts nicht. Die Fahrzeuge können nicht ausgeladen werden, der Zug muss irgendwo gewendet werden. Wir verbringen also erneut vier Stunden am Bahnport liegend. So gewinnen wir den Krieg sicher.
Dann gehts in die Zivilschutzanlage in Vernayaz, was noch einigermassen erträglich ist. Zumindest sind wir am Dorfrand und somit in der Zivilisation. Die folgenden zwei Wochen besuchen wir diverse Festungsminenwerfer in der ganzen Region, können aber auch einige Stollen in Dailly näher begutachten. Dort sind Übungsgeschütze aller möglichen Kaliber vorhanden. Die kurvenreiche Strasse hinauf dauert mit dem 2DM jeweils Stunden und wehe, wir haben einen vorsichtigen Fahrer – dann wird in jeder zweiten Kurve «gesägt». Häufig werden wir für die Offiziersschule als Schiesswache eingesetzt, das heisst zu zweit irgendwo einen Wanderweg oder Feldweg absperren und den ganzen Tag Ruhe.
Wir geniessen aber die sonnige Zeit – und hätten sie noch mehr genossen, wenn wir den Rest des Verlegungsprogrammes gekannt hätten. Dieses führt uns eines Tages mit Sack und Pack durch das ganz Rhonetal ins Goms, auf den Flugplatz Ulrichen. Dort treffen wir auf die restlichen Züge der Rekrutenschule und müssen wir die schreckliche Erfahrung einer Standartenübernahme miterleben – aus krächzenden Lautsprechern verkündet vor einer etwas – verstehen tut niemand was (man sollte doch meinen, dass ein funktionsfähiger Lautsprecher im Milliardenbudget der Armee Platz haben sollte). Dann gehst nach langem Warten weiter durch die Furka nach Andermatt. Die 10,5 cm-Panzerturm-Heinis bleiben in der Fuchsegg auf der Furka, der Nachschubtross unten in Andermatt und wir Festungsminenwerfer haben noch die haarsträubende Fahrt auf den Bäzberg vor uns.
In der wirklich bequemen Gebirgsunterkunft angekommen, fehlen der Küche die Lebensmittel, die in Andermatt geblieben sind. Also muss gleich ein 2DM ausgeladen werden und wieder runter. In der Zwischenzeit wird die Wache aufgezogen und ein Zug muss tatsächlich noch in die weiter unten liegende aus der Anfangszeit des Festungsbau stammende Anlage gehen und in den weit verzweigten Stollen einen Minenwerfer in Betrieb nehmen! Irgendwann kurz vor Mitternacht hat jeder eine Liege gefunden, etwas Warmes im Bauch und einige Stunden Schlaf vor sich. Für uns wird es am nächsten Morgen spannend. Bei der abendlichen Ankunft herrschte dichter Nebel, es regnete stark. Am Morgen sind fast zwei Meter Schnee vor der Gebirgsunterkunft. Sofort macht das Gerücht die Runde, dass wir übermorgen Samstag nicht nach hause könnten bei dem Wetter. Für die Lastwagen sei die Talfahrt zu gefährlich. Zum Glück besserte sich das Wetter ein bisschen und wir konnten trotzdem in den Wochenendurlaub – aber wir benötigten für die Talfahrt sicher doppelt so lange wie normal.
Das war einmal…
Die Arbeit im Bäzberg – einem ehemaligen Fort mit drei Panzertürmen mit 12 cm-Kanonen – ist abwechslungsreich. Die beiden nachträglich eingebauten Minenwerfer stammen aus der ersten Tranche und hatten kein hydraulisches Richtsystem. Mit grossen Handrädern wurde das Geschütz gerichtet. Zumindest kommt man zum Üben, da beide Werfer benutzt werden können. In der letzten Woche haben wir bei einem der heute stillgelegten Werfern das Richtgetriebe vermurkst – da musste die Herstellerfirma ran!
Die letzten Tage auf dem Bäzberg sind dann bereits Teil der Überlebenswoche. Wir verschiessen Tag und Nacht Werfergranaten und Beleuchtungsgeschosse, können aber auch zuschauen, wie gegenüber auf dem Bäzberg die Prototyp-Anlage des 15,5 cm Bison-Systems eingeschossen wird. Einige Rekruten unserer Schule spielten dort Versuchskaninchen für den Versuchsstab Festungstruppen. In der Überlebenswoche galt es, den Werfer innert zwei oder drei Minuten betriebsbereit zu melden (so genau weiss ich das nicht mehr). Jedenfalls kommen die Helden mit Streifen (Offiziere) auf die Idee, jeweils eine Werferbesatzung müsse im kalten und nassen Stollensystem des Bäzbergs übernachten, um die Zeit einhalten zu können.
Wir hingegen beweisen mit einigen Tricks, dass wir durchaus in der Lage sind, von der Gebirgsunterkunft aus ins Fort hinunter zu rennen (wohlgemerkt: es gibt keinen Verbindungstollen, wir müssen nach draussen und den Eingang beim grossen Kehlgraben benutzen). Beim Test sind wir natürlich alle angezogen und warten hinter der Türe auf den Alarm. Jedenfalls können wir weiterhin im der warmen Unterkunft bleiben. Übungshalber werde ich mit zwei anderen «Bäzbergern» einem Kommandotrupp von Festungsinfanteristen zugeteilt, die einen Angriff auf das Fort starten sollen. Unsere Ortskenntnis kommt uns natürlich zu Gute. Wir benutzen die Seilbahn von der Anlage Teufelswand hinauf in den Bäzberg. zwei zeigen sich offen, die restlichen des Kommandos verbergen sich kniend in der Kabine. Wir kommen problemlos in die Anlage rein, überraschen die Seilbähnler, dringen in das Stollensystem vor. An der Gasschleuse ist Schluss. Doch ich klopfe einfach – und der Depp auf der anderen Seite öffnet bereitwillig die Türe! innert Sekunden sind wir in der Feuerleitstelle und der Übermittlungszentrale und deponieren dort unsere Markierungs-Handgranaten. So einfach wäre der Krieg…..
Dann folgt der letzte Akt: Nachts müssen wir zu viert alle gepackten Rücksäcke mit der Materialseilbahn in die Teufelswand hinunter schaffen. Das dauert die ganze Nacht. Zumindest hoffen wir, dass wir selber gleich unten bleiben können. Doch Fehlanzeige. Wir werden hinauf in den Bäzberg befohlen, nur um dort einzustehen und mit dem Rest der Kompanie wieder zu Fuss hinunter in die Teufelswand zu marschieren. Ich gehe davon aus, dass auch heute noch die Armee nicht effizienter mit den Ressourcen umgeht – zumindest was ich von jungen Kollegen höre. Dann werden wir abends irgendwo im Glarnerland ausgesetzt, praktischerweise am Waldrand neben einer Schweinezucht. Campieren heisst das Motto. In dem saumässigen Gestank hat kaum einer geschlafen, dafür haben wir einen typischen Geruch an uns und den können wir den ganzen langen Weg nach «Hause» in die Festung Castels einatmen. Gut 50 Kilometer dauert der Fussmarsch, die letzten zwei Kilometer wollen unser Leutnant und die Korporale sogar sprinten – er selber ist Langstreckenläufer, das bemerken spätestens jetzt alle. Zum Glück habe ich als Zugsanitäter noch die Sani-Tasche dabei, die ich vollgestopft habe mit Energieriegeln, Traubenzucker, Schnaps usw. Als der Korporal vor Marschantritt die Tasche kontrollieren will, erkläre ich ihm deutlich, dass er in dem Fall niemals von mir weder eine Schmerztablette noch ein Pflaster bekommt – auch wenn er kurz vor dem Abnibbeln sei. Das hat gewirkt und er war unterwegs tatsächlich froh für Pflaster….
Als letzte Hürde kam dann noch die berühmte Steigung hinauf nach Castels – vorbei am grossen Eingang hinauf aufs Bödeli. Und nochmals musste eine Nacht direkt vor der Festung campiert werden. Das passierte alles, bevor entschieden wurde dass die Festungsminenwerfer künftig den im Einsatzraum stehenden grünen Verbänden unterstellt und für die infanteristische Aussensicherung selber zuständig sein werden. Da unser Feldweibel im «Zivilleben» bei der Festungswache Werkchef von Castels war, wurde sofort mit dem Reinigen des Korpsmaterials begonnen und auch mit dem Verlad dessen auf Paletten. Einige konnten sogar rasch in die Anlage duschen gehen! Nach der letzten verregneten Nacht vor der Anlage – in der wir sogar noch einen Leutnant der Festungsinfanterie gefangen und in ein Tarnnetz eingewickelt in einen Baum gehängt haben – ist auch diese Woche vorbei und wir haben eindeutig den Krieg gewonnen. So rückblickend muss ich schon sagen, dass wir eine gute Truppe waren, aber den Ernstfall hätte ich mit keinem von ihnen erleben wollen.